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AutorenbildThomas

In der Arena – der Angst begegnen

Gemeinderatssitzung Dezember 2020 - Seit 3 Minuten habe ich starkes Herzklopfen. Wir sind schon fast am Ende der Tagesordnung angelangt und der Punkt „Allfälliges“ wird dran kommen …

Ich melde mich und gehe zum Rednerpult, bin zittrig und aufgewühlt, atme tief durch, setze meinen Mund-Nasenschutz ab, die Brille auf und verlese meine Stellungnahme:


„Da wir noch mitten in der Pandemie stecken, mit allen ihren umfassenden Auswirkungen auf alle Bereiche der Gesellschaft, möchte ich mich heute Abend noch einmal zu Wort melden, um die Öffentlichkeit wissen zu lassen, dass es Vieles gibt, mit dem ich persönlich nicht einverstanden bin. Und da ich als gewählte Gemeinderätin einen Auftrag seitens der Menschen dieses Ortes sehe, möchte ich hier meine Verantwortung wahrnehmen.


Auch wenn ich grundsätzlich davon ausgehe, dass sämtliche Beteiligten ihr Bestes geben, diese Herausforderungen zu meistern so mache ich mir doch um Vieles Sorgen:

 

Beispielsweise:

Ich mache mir Sorgen um die Menschen in den Altenheimen. Ich wünsche mir, dass Menschen dort ihren Lebensabend in WÜRDE verbringen können und dass sie, wenn sie sterben, Menschen an ihrer Seite haben, um einen würdigen Abschied und menschliche Begleitung bekommen. Ich hoffe, dass alle Menschen, die hier nur irgend einen Einfluss geltend machen können, verbunden mit ihrer Integrität, Wege und Möglichkeiten finden, dies sicher zu stellen.


Ich mache mir Sorgen um unsere Kinder und die Jungen in unserer Gesellschaft. Ich finde, dass ihnen zum Teil Unmögliches zugemutet wird. Dies dient nicht der Gesundheit. Ich befürchte, dass unsere Kinder unter diesen Umständen psychischen Schaden erleiden. Ich hoffe, dass ganz viele Lehrer und Innen Mittel und Wege finden, die Kinder zu unterstützen, diese Krise unbeschadet zu überstehen. Und ich stelle mir vor, dass viele von ihnen an der Grenze ihrer Belastbarkeit entlangschrammen und auch Rückhalt und Unterstützung brauchen. Ganz zu schweigen von den Eltern, Allein-Erziehenden, den Familien!


Ich mache mir Sorgen um unsere Demokratie! Demokratie heißt für mich, in einem freien Land zu leben, die eigene Meinung ohne Angst zum Ausdruck bringen zu können und gesetzliche Möglichkeiten des Einflusses und der Mitsprache geltend machen zu können. Wo sind diese Möglichkeiten? Wir dürfen diese Werte nicht der um sich greifenden Angst zum Fraß vorwerfen. Angst ist – wie ich finde – ein sehr schlechter Berater. Angst führt dazu, dass wir erstarren, handlungsunfähig werden, Dinge hinnehmen, die wir üblicherweise niemals in Erwägung ziehen würden, sie macht uns sprachlos und defensiv. Wer hilft den Menschen wieder aus dieser Angst heraus? Angst macht krank! Ich wünsche mir, dass schnellstmöglich Angebote geschaffen werden, die dieser gesellschaftlichen Starre entgegenwirken, uns Menschen wieder unsere Lebendigkeit spüren lassen. Die Lebendigkeit, die dazu führt, dass wir kreativ und engagiert mit Herausforderungen umgehen können.


 Ich mache mir Sorgen um den sogenannten Mittelstand. Alle hier im Raum, oder zumindest der Großteil von uns, denke ich, gehört diesem Mittelstand an. Wann schließen wir uns zusammen, um gemeinsam sicher zu stellen, dass wir auch nach der Pandemie eine Perspektive und Lebensqualität unser eigen nennen können?


Es gäbe noch viele andere Bereiche – dies ist nur ein kleiner Auszug .


Und natürlich – das steht auch für mich außer Zweifel – braucht es auch unseren Zusammenhalt, damit es uns gelingt, die Risikogruppen zu schützen – Hand in Hand mit menschlicher Begleitung.


Ich wünsche mir, dass jeder und jede den persönlichen Spielraum nutzt und wir gemeinsam aufstehen und uns zu Wort melden.“


Ich bedanke mich, gehe zurück an meinen Platz und zittere noch ein wenig nach … und folge dann wieder den anderen Stellungnahmen.


Brene Brown beschreibt in ihrem Buch „Verletzlichkeit macht stark“, dass es wichtig und not-wendig ist, immer wieder „in die Arena zu gehen“ – sich quasi bewusst der eigenen Verletzlichkeit auszusetzen, sie auszuhalten und zu erleben – „es bringt mich ja gar nicht um“ – Ein bisschen so ist für mich dieser Auftritt, der mich Mut und Überwindung gekostet hat. Ich bin froh, dass ich es – bereits zum zweiten Mal – geschafft habe, mich zur Pandemie zu äußern und, wie ich das sehe, meine Verantwortung wahrzunehmen und mich in – innerlich erwarteten – „heftigen Gegenwind“ zu stellen. Es lohnt sich und ich finde, es ist wichtig. Wenn ich durch meine Angst – in dem Fall verbunden mit Zugehörigkeit, ernst genommen werden, geschätzt werden – durch gehe, erlebe ich, dass sie nicht so mächtig ist, wie ich vorher dachte – und ich bleibe handlungsfähig.


Einige sind nach der Sitzung auf mich zu gekommen, haben sich bedankt, selbst erzählt. Eine Person hat mir am nächsten Morgen ein Email geschickt und wieder ein anderer hat erzählt, dass er gerade zum „Wutbürger“ geworden ist und auch aktiv ist. Das alles ist und war ermutigend und hilft mir, mich zumindest ab und zu „unter die eiskalte Dusche“ zu stellen – und zu erleben – es stärkt mich!


Ich freue mich, wie immer über Rückmeldungen und Austausch

Nicola



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